Wie bist du Freelancer geworden?
Ich bin seit 2016 Freelancer. Davor habe ich 24 Jahre als Senior IT-Projektmanager bei GlaxoSmithKline gearbeitet. Mein Weg zum Freelancing war auch weniger ein geplanter Schritt als eine Alternative, nach einer internen Umstrukturierung in meinem vorherigenUnternehmen. Das war keine leichte Situation, denn zunächst einmal steht man da und fragt sich: Wie geht es jetzt weiter? Ich habe z.B. schnell gemerkt, dass ich aufgrund meines Alters keine Chancen mehr in der Festanstellung habe. Freelancing auf der anderen Seite war für mich ein ganz neues Umfeld, in dem ich mich erstmal probieren musste. Eine Schritt-für-Schritt Anleitung für so eine Umstellung gibt es nicht. Ich habe also angefangen mir die ganz grundsätzlichen Fragen neu zu stellen: Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich?
Insgesamt war das eine schwierige Zeit, die mit Sorgen einherging, aber ich bin dankbar um die Chance, weil ich durch diesen Weg wieder Stärke in mir selbst gefunden habe. Über Selbstbewusstsein, gute Selbsteinschätzung, Willensstärke und Ausdauer. Mit Ende Fünfzig durfte ich mich neu erfinden und kann sagen: Ich war mit meinen 63 Jahren noch nie so gut wie heute.
Wie und wo setzt du deine Stärken heute als Freiberufler ein?
Als IT-Projektmanager lasse ich komplexe Zielsetzungen Wirklichkeit werden. Meine Spezialisierung ist die Zusammenführung oder Zerlegung von unterschiedlichen IT Landschaften bei Merger & Acquisitions.
Bei IT-Konsolidierungen geht es darum, einen historisch gewachsenen Technologiestau grundlegend aufzuräumen und zu modernisieren. Der Einsatz von moderner Technik und die Herausforderung des Ungewissen machen diese Aufgabe für mich so spannend.
Was sind hierbei die Herausforderungen?
Die Herausforderung liegt in der großen Unklarheit, die solche M&AKonstellationen oft haben und die oft regelrecht fundamentalen Widersprüche, die bei einer Zusammenführung aufgelöst werden müssen. Lösungswege müssen über Monate erarbeitet werden, ob es am Ende funktioniert, ist am Anfang des Projekts noch ungewiss.
Gleichzeitig ist es für mich als Freelancer wichtig, mich in den Auftraggeber hineinzuversetzen, seine Zielsetzung zu verstehen und diesestrategische Zielsetzung zu einer technischen Wirklichkeit werden zu lassen.
Wie gehst du so eine Umstrukturierung an? Welche Stolpersteine gibt es?
Primär ist es technisch komplex. Die IT ist derart vielfältig, daß man garnicht jede Technik kennen kann. Zur Bewältigung der Komplexität habe ich ein Vorgehen, welches ich “multidimensionale Fachlichkeit” nenne.
Hintergrund von solcherlei Umstrukturierung ist oft ein Change Management. Für Unternehmen ist das wichtig, um nicht zu träge oder eingefahren zu werden. Bei Angestellten führt das aber oftzu Unverständnis und löst Ängste aus.
Deshalb ist es ebenso wichtig darauf zu achten: Was macht es denn mit den Menschen? Wie kann ich die Mitarbeiter bei diesem Prozess mitnehmen?
Als Externer werde ich hier oft als Bedrohung wahrgenommen. Diese Vorbehaltenehme ich auf und spreche sie diskret an.
Durch meine Angestelltenhistorie habe ich hier einen klaren Vorteil: Ich habe diese Phasen mitgemacht und weiß, wie sich das im Angestelltenverhältnis anfühlt, was für Ängste das auslöst. Ich kann mich in die Blickrichtung eines Betroffenen hineinversetzen, spiegele den Menschen wider, welche Stärken ich an ihnen erkannt habe, sie schöpfen für sich Zuversicht und als Projektteam bewältigen wir dann gemeinsam den schwierigen Umbau.
Was schätzt du heute am Freiberufler Dasein? Welche Vergleiche würdest du zur Festanstellung ziehen?
Die Freiheit! Ich bin meines Glückes Schmied. Mein spannendes Berufsleben ist nochmals spannender geworden, denn ich kann frei entscheiden, in welches Projekt ich meine Energie stecke. Begeistert mich das Thema? Traue ich es mir zu? Finde ich es spannend?
Außerdem habe ich auch das Gefühl, dass ich als Freiberufler in einem Projekt größere Veränderung bewirken kann. Man erwartet von mir Impulse, dafür darf ich auch mal “blöde” oder naive Fragen stellen, die sich nicht mit interner Firmenpolitik beschäftigen. Und ich bin wieder weg bevor es langweilig wird, ich kann also mit uneingeschränkter Begeisterung an das Projekt herangehen .
Also eine positive Entwicklung im Vergleich zur Festanstellung?
Die Festanstellung vergleiche ich aus heutiger Sicht mit einem goldenen Käfig: Die Sicherheit eines regelmäßigen Gehalts, Corporate Benefits. In der Freiberuflichkeit plagen einen dann doch schon mal Existenzängste, zzgl. monatlicher Umsatzsteuervoranmeldung und Einkommenssteuervorauszahlungen für mehrere Jahre.
Aber eben auch Käfig, weil es in der langjährigen Festanstellung doch mal zu Abnutzungserscheinungen kommen kann. In gewisser Form unterliegst du der Organisation. Man ist Teil einer Kultur, einer Hierarchie, in die ich mich gerne einfüge. Aber je länger man für die gleiche Organisation arbeitet, desto mehr können Schattenseiten offenbar werden. Das kann eine lähmende Perspektivlosigkeit zur Folge haben.
Wie sieht für dich die Arbeitswelt von morgen aus? Was ist für wichtig für die Zukunft?
Hier gibt es für mich mehrere Dinge:
Flexibilität & Diversität
Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat mir gezeigt, dass es doch noch Vorurteile zu geben scheint, was die Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiter angeht. Eigentlich schade, denn als Freelancer bin ich weiterhin erfolgreich, ich habe mir mein Alter als positives Merkmal zu eigen gemacht. In Zukunft wird es wichtig sein, anzuerkennen, dass sich die Zeiten geändert haben. Es geht um ehrliche Partizipation und Übereinkunft. Druckmittel sind kontraproduktiv. Hier sehe ich einen großen Unterschied zu früheren Zeiten, und das ist gut so.
Besseres Projektmanagement
Besseres Projektmanagement braucht das Land. Deshalb trainiere ich die weltführenden Methoden PRINCE2®, Scrum und PRINCE2 Agile™. Faszinierend ist, daß agile Methoden wunderbar auch außerhalb der Software-Entwicklung helfen. Da es in aller Munde ist, erscheint es wie eine weitere Sau, die gerade durchs Dorf getrieben wird. Aber Agilität ist alles andere als Beliebigkeit und Stümperhaftigkeit. Es ist auf Basis logischer Methodik eine dynamische Priorisierung und fortwährende Optimierung. Und es läßt sich nahtlos kombinieren mit klassischen Vorgehensmodellen.
Das Potenzial von IT voll ausschöpfen
Unterschätzt wird des Weiteren die Rolle der IT auch im Sinne der Mitarbeiterzufriedenheit. Leistungsstarke IT motiviert. Die offen sichtbare Ausstattung, wie Tablets, Laptops, virtuelle Telefonanlagen, Kollaborationssysteme usw., ist heutzutage Standard. Engpässe liegen verborgen in den Prozessen bzw. deren fließender Unterstützung mittels anspruchsvoller Technik. Ich denke dabei an Datenintegration oder -qualität oder bei Projekten an domänenübergreifende Berechtigungen. Unterschätzt wird, inwieweit Maßnahmen, die IT Frustration vermeiden, Zufriedenheit herstellen und Stolz auf das Unternehmen bewirken können.